Galaxienhaufen sind die größten, gravitativ gebundenen Strukturen im Universum. Nach dem hierarchischen Modell der Strukturentstehung, wonach größere, gravitativ gebundene Systeme aus kleineren Systemen entstehen, sind sie damit auch die jüngsten Strukturen im Universum. Daher kann die genaue Verfolgung ihrer Entwicklung, z.B. anhand ihrer Anzahldichte abhängig von der Zeit, zur Messung wichtiger kosmologischer Parameter verwendet werden.
Viele Eigenschaften von Galaxienhaufen können mit optischen Beobachtungen bestimmt werden, die derzeit verlässlichsten Daten erhält man jedoch durch Beobachtungen mit Röntgensatelliten wie z.B. CHANDRA und XMM-Newton. Aus diesen Daten ergeben sich Korrelationen z.B. zwischen Leuchtkraft und Temperatur oder zwischen Masse und Temperatur für Galaxienhaufen. Nimmt man an, dass alleine Gravitation eine Rolle bei der Entstehung von Galaxienhaufen spielt, sollten diese selbstähnlich sein, jedoch stimmen die experimentell gefundenen Relationen nicht mit dieser Annahme überein. Eine physikalische Erklärung, warum die Selbstähnlichkeit verletzt ist, kann die Existenz von turbulenten Strömungen in Galaxienhaufen sein.
Die bisherigen Untersuchungen von Turbulenz in Galaxienhaufen waren jedoch darauf beschränkt, alleine passiv nach Eigenschaften der Strömung in Galaxienhaufen zu suchen, die auf Turbulenz hinweisen. Die aktive Rolle der Turbulenz, d.h. den möglichen Einfluss von klein und kleinstskaligen Geschwindigkeitsfluktuationen auf die Strukturentstehung, zu modellieren war bisher nicht möglich. Ein Grund dafür ist, das die akzeptierte Kolmogorov-Theorie der Turbulenz nur für inkompressible, homogene und isotrope Strömungen angewendet werden kann, Strömungen in der Astrophysik jedoch meist kompressibel, selbstgravitierend und anisotrop sind. Ein zweiter Grund ist, dass die derzeitigen Modelle zur numerischen Beschreibung von Turbulenz (sog. Grobstruktursimulationen) auf der Filterung der fluiddynamischen Gleichungen bei einer bestimmten charakteristischen Längenskala beruhen, was im offenen Widerspruch zu numerischen Methoden der Astrophysik steht, welche mit adaptiven Gittern arbeiten, um die vielen Phänomene auf unterschiedlichsten Längenskalen in astrophysikalischen Umgebungen darzustellen.
Ziel dieser Arbeit war es daher, ein neues numerisches Modell zu entwickeln, welches es ermöglicht Grobstruktursimulationen auch mit adaptiven Gittercodes auszuführen, um Turbulenz über große Längenskalenbereiche konsistent zu simulieren. Da das frei verfügbare Programm Enzo zur Simulation kosmologischer Strömungen adaptive, in Blöcken organisierte Gitter und den wenig-dissipativen PPM-Lösungsalgorithmus benutzt, sollte unser neues Modell in diesen Code implementiert werden.
Um Grobstruktursimulationen mit Enzo zu ermöglichen, implementierten wir eine neue Erhaltungsgleichung für die turbulente Energie in das Programm und koppelten sie an die bereits vorhandenen Erhaltungsgleichungen von Impuls, kinetischer und interner Energie. Wichtigster Punkt und zentrale Idee um Grobstruktursimulationen mit adaptiven Gittern zu ermöglichen, war jedoch die Modifikation der Algorithmen zur Interpolation von turbulenter und kinetischer Energie bei der Erzeugung von Gittern, damit die turbulente Dissipation lokal auf verschiedenen Längenskalen erhalten bleibt.
Nach der Lösung sehr vieler numerischer und technischer Probleme, die uns der schlecht gewartete Enzo-Code leider aufzwang, ist es uns im Rahmen dieser Arbeit gelungen zu zeigen, dass die Annahme lokaler Erhaltung der turbulenten Dissipation zu einem konsistenten Skalierungsverhalten der turbulenten Energie in adaptiven Gittercodes führen kann. Wir konnten auch zeigen, dass unsere Modifikation nicht zu einer Verletzung der Energieerhaltung führt.
Motiviert von diesen Ergebnissen verwendeten wir unser neues numerisches Modell zur Simulation von Galaxienhaufen. Im Rahmen dieser Arbeit wurden dazu eine hochaufgelöste Simulation mit und eine ohne Turbulenzmodell durchgeführt, um den Einfluss unseres Turbulenzmodells auf die Entstehung eines Galaxienhaufens zu untersuchen. Die Auswertung der Simulationen ergab folgendes Bild:
Unser Turbulenzmodell hat keinen signifikanten Einfluss auf Massenanteile der unterschiedlichen Gasphasen im interstellaren Medium.
Die zeitlichen Entwicklung der turbulenten Energie lässt darauf schließen, dass alle Gasphasen auf der Längenskala einer Galaxie genug Zeit hatten, um im heutigen Universum eine turbulente Kaskade auszubilden. Wir konnten auch zeigen, dass die Produktion und Dissipation turbulenter Energie im heutigen Universum praktisch im Gleichgewicht zu sein scheint.
Die Turbulenz auf der Längenskala einer Galaxie ist Unterschallturbulenz, die mittlere turbulente Machzahl bei einer Rotverschiebung beträgt etwa .
Große Fluktuationen der turbulenten Energie bei beginnender Galaxienhaufenbildung deuten darauf hin, dass „gewaltsames”Verschmelzen kleinerer zu großen Strukturen zu turbulenten Strömungen führt.
Turbulenz in Galaxienhaufen wird durch die Akkretion kleinerer Strukturen nur am äußeren Rand () getrieben. Dabei lässt sich aus der räumlichen Verteilung der turbulenten Energie auf die Akkretionsgeschichte des Galaxienhaufens zurückschließen, zumindest solange, bis die turbulenten Geschwindigkeitsfluktuationen in thermische Energie umgewandelt sind.
Aus dem Skalierungsverhalten der turbulenten Energie lässt sich ableiten, dass Kräfte auf einer Längenskala von Energie in das System einkoppeln und sich zu kleineren Längenskalen hin eine turbulente Kaskade ausbildet. In den Radialprofilen des Galaxienhaufens findet man den Maximalwert der turbulenten Energie bei , wahrscheinlich verursacht durch die starke Abbremsung und damit verbundenen Verwirbelung von Material, wenn es auf den Rand des Galaxienhaufen trifft.
Aus den Radialprofilen folgt auch, dass nur im Zentrum ein signifikanter Einfluss unseres Turbulenzmodells auf die thermodynamischen Eigenschaften des Galaxienhaufens besteht. Aus dem effektiven adiabatischen Index ergibt sich, dass mit unserem Turbulenzmodell das interstellare Medium im Zentrum des Galaxienhaufens kühlt, d.h. die Entropie und die Temperatur sind niedriger, die Dichte und Geschwindigkeitsdispersion höher als ohne Turbulenzmodell.
Ausgehend vom letztgenannten Punkt kann man auch vermuten, dass Turbulenz als Mechanismus zur Lösung des „Überkühlungsproblems” nicht in Frage kommt. Desweiteren führten vorläufige, niedrigaufgelöste Simulationen von Galaxienhaufen zu dem interessanten Resultat, dass die Kolmogorovkonstante im Skalierungsgesetz der turbulenten Geschwindigkeitsfluktuationen im Galaxienhaufenzentrum eine Größenordnung höher als in inkompressibler Turbulenz zu sein scheint.
Ein wichtiger Punkt bei der Quantifizierung von Turbulenz, der speziell in unserer Arbeit offensichtlich wurde, ist die Skalenabhängigkeit der turbulenten Energie und damit auch des turbulenten Druckes. Oft wird dies in der astrophysikalische Literatur nicht berücksichtigt, was viele Aussagen hinsichtlich der Stärke von Turbulenz unvollständig macht. Die Frage jedoch, ob mit einer skalenabhängigen turbulenten Energie, wie sie sich aus der Kolmogorov-Theorie und in unserem Turbulenzmodell ergibt, wirklich Turbulenz in selbstgravitierenden Strömungen korrekt beschrieben werden kann, können wir nicht beantworten. Ein besseres Verständnis selbstgravitierender, turbulenter Strömungen scheint daher unerlässlich und extrem wichtig für die weitere Erforschung von Turbulenz in der Astrophysik.